Peter Ziegler, nach fünf Jahren und rund 700 Arbeitsstunden ist es vollbracht: Das Buch «200 Jahre Tuwag» ist gedruckt und wird Ende September zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Wie fühlen Sie sich?
Ich freue mich. Das Buch zeigt den eindrücklichen Aufstieg, die Blüte und den Abstieg einer der wichtigsten Textilindustrien in Wädenswil. Damit leistet es einen wichtigen Beitrag zur Ortsgeschichte, aber auch zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Was ist für Sie das Besondere an der Tuwag?
Einerseits, dass die heutige Tuwag Immobilien AG aus dem Zusammenschluss von drei Fabriken entstanden ist. Aus der Wolltuchfabrik von Caspar Treichler am Sagenbach, aus der Tuchfabrik Fleckenstein und aus der Tuchfabrik Wädenswil. Ausserdem sagt man immer, die früheren Fabrikherren hätten ihre Mitarbeitenden ausgebeutet. Das stimmt hier nicht.
Woran erkennen Sie das?
Daran, dass die Angestellten der Tuwag sehr früh eine Krankenkasse und eine Pensionskasse hatten. Zudem gab es auf dem Areal ein Kosthaus, eine frühere Form der Kantine. Und es gab Zimmer, in denen die Arbeiterinnen und Arbeiter wohnten. Das alles war früher nicht selbstverständlich und zeugt von einer sozialen Denkweise.
Gibt es dafür noch andere Beispiele?
Ja. Zur Tuwag gehörten Landwirtschaftsbetriebe im Gebiet der heutigen Eichmühle und in der Schönau Richterswil. Die Erzeugnisse hat man den Mitarbeitenden während des zweiten Weltkriegs zu günstigen Preisen abgegeben. Das war auch deshalb möglich, weil es der Tuwag zu dieser Zeit viel besser ging als anderen Industriebetrieben. Viele hatten während des Krieges Mühe.
Weshalb war das bei der Tuwag anders?
Die Tuchfabrik war spezialisiert auf Uniformstoffe für das Militär, die Zoll-, Bahn- und Postangestellten sowie für Musikvereine und Kadetten. Deshalb war die Nachfrage während des 2. Weltkriegs natürlich besonders hoch. 1943 arbeiteten 600 Menschen hier. Die Hälfte davon waren Frauen.
Später dann, im Jahr 1970, kam dann aber die grosse Krise…
Genau. Es war der grosse Zusammenbruch der Textilindustrie.
Wie kam es dazu?
Einerseits veränderte sich die Mode. Uniformen waren nicht mehr so beliebt, wurden vielerorts sogar abgeschafft. Andererseits entwickelte sich die Technik für das Waschen, Trocknen, Zwirnen, Weben und Appretieren der Wolle rasant. Vor allem aber drückten billige Importwaren aus Asien auf die Preise. Das führte dazu, dass die Produktion der Tuchfabrik Wädenswil Ende 1978 eingestellt werden musste.
Eine Katastrophe.
Das kann man so sagen. Max Treichler, Vater des heutigen Geschäftsführers Heiner Treichler, hatte die schwierige Aufgabe, über die Zukunft seiner Fabrik und des Areals zu entscheiden.
Was hat er gemacht?
Er wollte das Areal nicht verkaufen. Deshalb verkaufte er alle Maschinen, renovierte die Gebäude und vermietete sie anschliessend an kleinere Gewerbebetriebe aus der Region. Die Seat-Garage war eine der ersten, die einzog. Es folgten die Straumann Hüppen, Stutz Druck und schliesslich die Hochschule, der inzwischen grösste Mieter auf dem Areal. So entstand aus der Tuchfabrik Wädenswil die Tuwag Immobilien AG.
Max Treichler traf also die richtige Entscheidung?
Auf jeden Fall. Es war ein sehr mutiger Schritt von ihm. Und eine Entscheidung, die von grosser unternehmerischer Weitsicht und fortschrittlichem Denken zeugt. Umso schöner ist es, dass sie von Erfolg gekrönt wurde. Heute kümmert sich die Tuwag Immobilien AG nicht mehr nur um die Vermietung und Bewirtschaftung der Flächen auf dem eigenen Areal, sondern auch ausserhalb. Es ging der Firma nie besser.
Sie selber haben auch einen sehr persönlichen Bezug zur Tuwag. Erzählen Sie!
Das stimmt. Ich wohne seit vielen Jahren in der früheren Direktorenvilla der Tuchfabrik. Gerade für mich als Historiker ist das natürlich ein grosses Privileg. Diese Mauern erzählen Geschichte.
Können Sie sich auch noch daran erinnern, wie es war, als in der Tuchfabrik Wädenswil noch produziert wurde?
Sehr gut sogar. Als Bub durfte ich einmal mit meinem Grossvater die Fabrik besuchen. Ich höre das laute Rattern der Maschinen immer noch. Und ich fühle die schwül-warme Luft. Das alles war für mich wahnsinnig faszinierend.
Und die Faszination ist auch weiterhin da?
Ja, die ist nie vergangen. Ich verrate Ihnen nun noch ein Geheimnis.
Wie spannend!
Als die Tuchfabrik Wädenswil 1978 als Fabrik zugemacht hat, habe ich von jemandem den Hinweis bekommen, dass hier auf dem Areal eine Mulde stehe mit einer Menge Papier darin. Ich bin dann in einer Nacht- und Nebel-Aktion hingefahren und habe alle Unterlagen und Dokumente aus dieser Mulde heimlich mitgenommen. Es war eine grosse Autoladung voll.
Was haben Sie damit gemacht?
Ich habe alles durchgesehen, sortiert und archiviert. Als dann Heiner Treichler auf mich zugekommen ist und mich gefragt hat, ob ich die Firmengeschichte der Tuwag aufarbeiten würde, habe ich ihn mit einem Schmunzeln gefragt, ob er denn Unterlagen habe. Er verneinte. Da habe ich ihm gebeichtet, dass ich das Material damals «gestohlen» habe. Genau das Material, das die Grundlage für das 200-Jahre-Tuwag-Buch bildete, welches demnächst erscheint.